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Johann Simon Genten, Aachen
20. März 2012

Krankenversicherung der Rentner (KVdR): Wirtschaftliche Nachteile durch freiwillige Versicherung / Rentenversicherung unterlässt rechtswidrig Meldung zur KvdR

Wieder einmal konnte ich einen spannenden Fall vor dem Sozialgericht Aachen gewinnen.
Eine junge Frau hatte mit 25 Jahren im Rahmen ihrer Tätigkeit als Pferdetrainerin (Bereiterin) einen Arbeitsunfall. Sie war vom Pferd gestürzt, infolge eines Schädelhirntraumas schwer behindert und saß mir im Rollstuhl gegenüber.
Sie erhält seitdem von der Berufsgenossenschaft eine Rente aufgrund des Arbeitsunfalls. Gleichzeitig bestand aber auch volle Erwerbsminderung, so dass sie einen Antrag auf Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung stellte. Im Zuge dieses Antragsverfahrens stellte die beteiligte Krankenkasse fest, dass die Voraussetzungen zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nicht erfüllt waren.
Dies hatte für die Rentnerin fatale wirtschaftliche Nachteile und Folgen. Nun war sie auf einmal in der gesetzlichen Krankenversicherung nur noch freiwillig versichert und musste bis zur Beitragsbemessungsgrenze Beiträge zahlen und zwar aus der gesetzlichen Rente sowie aus der Rente der Berufsgenossenschaft. Diese Nachteile hätte sie nicht gehabt, wenn sie die Voraussetzungen zur KVdR erfüllt gehabt hätte. In diesem Fall hätte sie nur Beiträge aus der gesetzlichen Rentenversicherung zahlen müssen, nicht jedoch aus der BG-Rente oder einer andere Einkommensart. Ich habe ausgerechnet, dass meine Mandantin bis an ihr Lebensende eine zusätzliche Beitragsbelastung von mindestens 130.000 bis 140.000 Euro zu tragen gehabt hätte!
Man mag darüber diskutieren, ob diese unterschiedliche Beitragsbelastung durch die Verfassung gedeckt ist. Ich untersuchte die Angelegenheit näher und überprüfte zunächst, ob im vorliegenden Fall die Entscheidung der Krankenkasse, die Voraussetzungen zur KVdR zu verneinen, korrekt war.   
In die KvdR wird nur aufgenommen, wer von der Antragstellung gerechnet in der 2. Hälfte seines Erwerbslebens 9/10 der Zeit gesetzlich krankenversichert gewesen ist. Egal ob pflichtversichert oder freiwillig versichert.
Das bedeutet, dass bereits eine relativ kurze Zeit einer privaten Versicherung dazu führen kann, dass die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind und der Versicherte sich allenfalls freiwillig krankenversichern kann mit der Konsequenz eventuell höherer Beiträge.
Ich musste also prüfen, ob Frau X in der 2. Hälfte ihres Erwerbslebens 9/10 der Zeit gesetzlich krankenversichert gewesen ist. Wenn ich hier mal aus Gründen des Datenschutzes keine konkreten Daten nenne und als 2. Hälfte die Zeit vom 1.1.99 bis zum 31.12.2004 annehme, also 5 Jahre, müsste Frau X mindestens 54 Monate Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sein.
Tatsächlich musste ich feststellen, dass die Berechnungen der Krankenkasse richtig waren. Denn Frau X hatte den Fehler gemacht, sich nach Beendigung ihrer Lehre in einer Selbstständigkeit zu versuchen. Sie war auf die günstigem Beiträge einer privaten Versicherung hereingefallen. Sie hatte sich, ohne die mögliche Konsequenz zu bedenken, für 5 Monate privat versichert.
Maßgeblich ist für die Berechnung ja u.a. das Rentenantragsdatum. Hier waren die Voraussetzungen nur knapp nicht erfüllt, denn es fehlten nur 200 Tage, dann hätte sie die Voraussetzungen zur KVdR erfüllt. Also, wenn Frau X den Rentenantrag 200 Tage später gestellt hätte, wäre sie in die Kvdr gekommen !

Nachdem ich zunächst erfolglos einen Beratungsfehler reklamiert hatte, -ich sah den Rentenversicherungsträger und die Krankenkasse hier in der Pflicht, die Versicherte auf die mögliche Gestaltung hinzuweisen-,  betrachtete ich mir den Fall nochmals näher.
Frau X war die Rente zunächst nur für zwei Jahre befristet bewilligt worden. Sie hatte nach zwei Jahren dann einen Verlängerungsantrag gestellt. Und nach weiteren 2 Jahren einen weiteren. Dann wurde ihr die Rente auf unbestimmte Zeit bewilligt.
War das Krankenversicherungsverhältnis bei den Weiterbewilligungs-anträgen nicht erneut zu prüfen?
In der Tat war dies der Fall! Doch ich musste feststellen, dass bei den erneuten Rentenanträgen seitens der Rentenversicherung die erforderliche Meldung zur Krankenversicherung der Rentner überhaupt nicht abgegeben worden war! Mit dieser Meldung wird das Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Voraussetzung der KVdR eingeleitet. Zuständig wäre hier die AOK gewesen. Dies war jedoch versäumt worden.
Ich musste in diesem Fall gegen die AOK bzw. die Rentenversicherung klagen. Nachdem ich der Krankenkasse und der Rentenversicherung die eigene positive Auslegung der entsprechenden Gesetze vorgelegt hatte, wurde von Seiten der Rentenversicherung erst im Gerichtsverfahren während der mündlichen Verhandlung  die Meldung zur KVdR nachgeholt und von der Krankenkasse festgestellt, dass die Voraussetzungen zur Krankenversicherung der Rentner erfüllt waren.
Dies bedeutete in der Konsequenz eine erhebliche Beitragsentlastung für die schwerbehinderte junge Frau und eine ERstattung von Beiträgen fast im 5 stelligen Bereich !

Das Verhalten der Rentenversicherung war im vorliegendem Fall skandalös. Sie unterließ die formell vorgeschriebene Meldung zur KVdR und war sogar zunächst der Meinung, dies sei korrekt! Es ist zu vermuten, dass dieses Fehlverhalten ggf.
bis heute vorliegt und noch bei anderen Fällen festzustellen ist.
Bemerkenswert war weiterhin, dass die Rentenversicherung der Meinung war korrekt beraten zu haben, da es hier um eine Angelegenheit der Krankenversicherung ging. Die Krankenversicherung war der Meinung, entscheidend sei die Rentenantragstellung gewesen und wies gleichfalls jeden Beratungsfehler weit von sich !
Ein spannender und bemerkenswerter Fall, der, das sage ich voller Stolz, einmal mehr verdeutlicht, wie Recht der Bundestag hatte, als er einmal feststellte, dass sich die Rentenberater zur Kontrolle der Versicherungsträger als unentbehrlich erwiesen haben.
Ja, warum soll man sich hier nicht einmal selbst auf die Schulter klopfen?!
Im übrigen zeigt das Beispiel aber auch ,
  • dass bei Rentenantragstellung immer auch die Problematik der KvdR zu beachten ist;
  • dass man mit dem Abschluss einer privaten Krankenversicherung vorsichtig sein sollte, weil bereits kurze Versicherungszeiten dazu führen können, dass die Voraussetzungen zur beitraggünstigen KvdR nicht erfüllt werden