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Johann Simon Genten, Aachen
17. Juli 2013

Opferentschädigung: Beweislastumkehr bei Ermittlungsfehler durch Polizei

Nach § 1 Abs. 1 des Opferentschädigungsgesetzes - OEG - erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung, wer infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Tatbestandsmerkmale "vorsätzlich, rechtswidrig und tätlich" müssen dabei in der Regel im Wege des Vollbeweises (objektive Beweis- oder Feststellungslast) nachgewiesen sein.
In einem durch das Sozialgericht Düsseldorf entschiedenen Fall eines durch  körperlichen Angriff schwerst geschädigten Menschen wurde die Beweislast jedoch umgekehrt, weil die zuständige Polizei völlig unzureichend ermittelt hatte und daher Beweismaterial nicht mehr gesichert werden konnte.
Strafrechtlich stellte sich, so das Gericht,  der Sachverhalt damals für die Polizei so dar, dass nach Aussage des Zeugen X1 der Kläger mit einem Baseballschläger durch Schläge auf den Kopf angegriffen wurde und dabei lebensgefährliche Verletzungen erlitten hatte. Ein derartiger Angriff wird von der Rechtsprechung als versuchtes (oder aus damaliger Sicht möglicherweise bei Nichtüberleben des Klägers auch vollendetes) vorsätzliches Tötungsdelikt gewertet, da der Täter beim Schlag mit einem Baseballschläger auf den Kopf des Opfers, der so heftig ist, dass er zu einem Schädelbasisbruch führt, dessen Tötung billigend in Kauf nimmt. Bei dieser Sachlage musste sich die Polizei veranlasst sehen, den Tatort sofort aufzusuchen und dort die notwendigen Ermittlungen (Beschlagnahme der Überwachungsvideos, Vernehmung der Türsteher, Vernehmung der weiteren Zeugen und ggf. Spurensicherung, Vernehmung des Taxifahrers) zu veranlassen. Statt dessen wurde in der Ermittlungsakte von dem zunächst vor Ort im Krankenhaus befindenden Polizeioberkommissar jedoch vermerkt, dass er nach sofortiger Rücksprache mit seinen Vorgesetzten (Rücksprache mit dem KK 00) der Fall erst einmal überhaupt nicht bearbeiten werden soll (Anordnung von KK 00 "keine Sofortbearbeitung"). Eine weitere Bearbeitung der Angelegenheit erfolgte laut Gericht erst drei Tage später und dann auch nur, nachdem der Zeuge X1 sich offenbar aus eigenen Stücken wieder bei der Polizei gemeldet hatte. Zu diesem Zeitpunkt war  aber- und das musste der Polizei mit der internen Verfügung die Sache erst einmal nicht zu bearbeiten, klar sein - eine vollständige sachgerechte Aufklärung des Verbrechens gegen den Kläger schon nicht mehr oder nur noch schwerlich möglich, führt das Gereicht weiter aus. Überwachungskameras, die hier eine Rolle spielten, wurden - wie sich  aus der Akte der Staatsanwaltschaft als "polizeibekannt" ergab - nach 24 Stunden gelöscht. Die diensthabenden Türsteher konnten nicht mehr sicher ermittelt werden und die Spuren des Verbrechens waren in der Folge nicht mehr aufzufinden (Sozialgericht Düsseldorf - S 35 VG 21/10 - Urteil vom 13.06.2013)
Quintessenz: Gewaltopfer, die in Beweisnöte kommen, weil die Polizei oder die Staatsanwaltschaft Ermittlungsfehler begangen haben, können im Rahmen einer Beweislastumkehr dennoch auf eine Entschädigung hoffen.
Das SG im bemerkenswerten Leitsatz: „Die staatliche Verpflichtung, Verbrechen im oben genannten Sinne zu verhindern, schließt die Verpflichtung des Staates ein, wenn schon die Verhinderung des Verbrechens misslingt, das Verbrechen wenigstens so weit wie möglich aufzuklären und dem Geschädigten damit bei der Erbringung des Nachweises eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs zur Seite zu stehen.“