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Johann Simon Genten, Aachen
9. Oktober 2013

Sozialgerichtsbarkeit: Entscheidung ohne Aktenkenntnis !?

In der juristischen Fachwelt hat der BGH-Richter Prof. Dr. Thomas Fischer eine bemerkenswerte Diskussion um die Rechtsfindung bei den BGH-Senaten angestoßen (http://www.strafverteidiger-stv.de/system/files/users/user5/StV-06-2013_395.pdf). Quintessenz seiner Untersuchungen ist, dass auf BGH-Ebene Entscheidungen ohne genaue Aktenkenntnis getroffen werden und damit "tendenziöse Ergebnisse auf Basis eingeschränkter Sachkenntnis" vorprogrammiert sind. Hintergrund ist die Tatsache, dass die Akten in der Regel allenfalls  von zweien der fünf Richter gelesen werden. Alle anderen werden erst in der Verhandlung in einem kurzen, ggf. subjektiv gefärbten Sachvortrag informiert. Nach seinen Recherchen führt das u.a. dazu, dass abhängig vom Berichterstatter und Vorsitzenden das Ergebnis vorprogammiert ist. Dieses Problem existiert auch in der Sozialgerichtsbarkeit!
Auf allen Ebenen der Sozialgerichtsbarkeit mache ich in der Regel die Erfahrung,  dass allenfalls der Vorsitzende bzw. ergänzend auf LSG-Ebene der Berichterstatter hinreichend über die zu entscheidende Sache informiert ist/sind, weil alle anderen eben die komplette Akte nicht kennen, sondern ihnen der Sachverhalt in einer knappen Zusammenfassung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen wird. Das ist Usus im SG-Verfahren der ersten Instanz. D.h. , der Vorsitzende Richter ist Herr des Verfahrens. Er bereitet die mündliche Verhandlung, die zur Entscheidung führen soll, vor. Er stellt die Weichen, wählt die Gutachter aus etc. Erst in der mündlichen Verhandlung kommen zwei ehrenamtliche Richter hinzu, die eben nur in einem knappen Sachvortrag informiert werden. Detailierte Aktenkenntnis haben sie in der Regel nicht und können Sie sich auch kaum in der knappen Zeit der mündlichen Verhandlung verschaffen ! Ich frage mich aber, ob das so sein kann! M.E. sollte jeder Richter die komplette Akte kennen. Dies setzt nunmehr auch der BGH-Richter Fischer in seinem Senat zunächst versuchsweise um.
Hier ein Presseartikel dazu :
http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/bgh-strafrichter-verlassen-sich-oft-auf-einschaetzung-eines-kollegen-a-913467.html