professionell...unabhängig...engagiert
Johann Simon Genten, Aachen
2. Januar 2012

Wie Gutachter manipuliert werden: Ein prägnantes Beispiel aus der Unfallversicherung

Herr X. wurde vor ca. 2 Jahren Opfer eines brutalen Überfalles. Die Täter verletzten ihn schwer und mißhandelten ihn. Die Hüfte wurde dabei mehrfach gebrochen. Zurück blieb u.a ein schweres Trauma. Trotz kontinuierlicher Behandlung bestehen nach wie ganz erheblichen Angstzustände. Der Mann hat Schlafstörungen, Alpträume, kann die Wohnung z.T. nur in Begleitung verlassen.  Die Rentenversicherung hat festgestellt, dass er im Moment keinerlei Erwerbstätigkeit mehr nachgehen kann. Der Überfall geschah bei der Arbeit. Daher musste auch die Berufsgenossenschaft prüfen, ob eine MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) in rentenberechtigender Höhe verblieben ist. Der seitens der BG eingeschaltete Gutachter verneinte nun eine MdE über den Monat 5/11 hinaus.  Ein miserabeles Gutachten !  Bemerkenswert war aber die Fragestellung durch die BG, die ich nach Akteneinsicht sehen mußte.
Den zahlreichen Fragen ist folgender Punkt zu entnehmen:
9.2 Falls Sie eine MdE rentenberechtigenden Ausmaßes annehmen:
a) Eignet sich der Fall für eine Abwicklung als Gesamtvergütung (Abfindung
IEinmalzahlung für einen vorübergehenden Zeitraum) ?
b) Wenn ja: Welche MdE-Höhe und welchen Entschädigungszeitraum schlagen Sie vor ?
Hintergrund dieser Frage ist unsere - mit der Fachliteratur übereinstimmende - Erfahrung, wonach die Folgen psychischer Traumen in der Regel kurz- oder zumindest mittelfristig, spätestens nach 2 bis 3 Jahren, abklingen (vgl. Schönberger/Mehrtens „Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 7. Auflage, S. 228/229). Zudem wirkt sich u. E. die Zuerkennung einer laufenden Rente mit Feststellung einer andauernden psychischen Beeinträchtigung negativ auf die Chance auf Besserung aus. Es ist dem psychischen Gesundheitszustand abträglich, den Betroffenen „zum Rentner" zu machen, wohingegen eine einmalige Zahlung eines angemessenen Betrages eine bessere, weil deutlichere „Wiedergutmachungi' des seelischen Schadens verspricht. Eine solche Entschädigung bietet dem Betroffenen darüber hinaus die Möglichkeit, mit dem Unfall bzw. Überfall abzuschließen, da ihm weitere Begutachtungen -verbunden mit der Gefahr einer erneuten Belastung aufgrund erneuter Konfrontation mit dem Ereignis- erspart bleiben."

D.h. : Geht es nach der BG, dann wird nicht nach den gängigen Grundsätzen begutachtet, sondern man setzt sich darüber hinweg, aus angeblich "liebgemeinten" "therapeutischen" Gründen ! Ein Fall für die Aufsichtsbehörde!  Der Gutachter ist diesem Vorschlag übrigens prompt gefolgt, obwohl noch ganz massive Störungen vorliegen ! Schönberger/Mertens u.a. in der mir vorliegenden 8. Auflage (nicht die zitierte 7. !) sehen übrigens keine "Befristung" des Krankheitsbildes vor,sondern sprechen von einem akuten Verlauf von drei Monaten. Danach spricht man von einer chronischen PTBS. Sie führen im übrigen weiter aus, bei extremen Traumatisierungen könne sich auch eine andauernde Persönlichkeitsänderung entwickeln.
Das Gutachten ist aus meiner Sicht nach manipulativer unzulässiger Fragestellung entstanden.