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Johann Simon Genten, Aachen
23. Januar 2018

Unfallversicherung: Schüler auch bei Gruppenarbeiten unfallversichert

Wer schon einmal mit einer Berufsgenossenschaft zu tun hat, der weiß ein Lied zu singen: Der Ruf ist der Unfallversicherungsträger ist denkbar schlecht. Leistungen werden oft zu Unrecht abgelehnt. Manche Gutachter und viele Beratungsärzte rechnen Krankheiten klein. Eine neues Beispiel lieferte nun die Landesunfallkasse, zuständig für die Entschädigung, wenn Schüler einen Unfall erleiden. Sie lehnte es ab, Leistungen, insbesondere eine Rente zu gewähren, weil sie der Auffassung war, ein Unfall, der hier zu einer Querschnittslähmung führte, habe sich nicht im Verantwortungsbereich der Schule ereignet. Hierzu das Bundessozialgericht in einer Presseerklärung:

"Schüler stehen während des Besuchs allgemeinbildender Schulen unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung. Das Bundessozialgericht (BSG) stellt dabei in ständiger Rechtsprechung darauf ab, ob sich der konkrete Unfall noch im "organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule" ereignet hat.  Im Fall eines 15-jährigen Realschülers, der im Rahmen einer schulischen Projektarbeit stürzte und seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen ist, hat der 2. Senat des BSG heute entschieden, dass dieser einen Unfall erlitten hat, den die Landesunfallkasse entschädigen muss (Aktenzeichen B 2 U 8/16 R). Auch während schulisch initiierter Gruppenarbeiten, die außerhalb des Schulgeländes nach Unterrichtsschluss stattfinden, sind Schüler allgemein- oder berufsbildender Schulen folglich kraft Gesetzes unfallversichert Der Schüler sollte im Musikunterricht gemeinsam mit drei Mitschülern einen Videoclip erstellen. Da die Gruppe im Unterricht mit dem Clip nicht fertig wurde, traf sie sich zu den Dreharbeiten mit Billigung der Musiklehrerin nach Unterrichtsschluss im häuslichen Bereich eines Mitschülers. Bei den Dreharbeiten kam es in der Gruppe zum Streit, so dass der klagende Schüler auf dem Heimweg von einem der Klassenkameraden erheblich verletzt wurde. Die beklagte Unfallkasse lehnte es ab, Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, weil es sich bei den Dreharbeiten um Hausaufgaben gehandelt habe, die grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der Eltern fielen. Dem hat das Bundessozialgericht - wie schon die Vorinstanz - widersprochen. Zwar hat es an seiner Rechtsprechung festgehalten, dass kein Versicherungsschutz besteht, wenn Schüler ihre Hausaufgaben im Selbststudium zu Hause erledigen. Es liegt jedoch keine "Hausaufgabe" mehr vor, wenn Lehrkräfte Schülergruppen aus pädagogischen oder organisatorischen Gründen zusammenstellen und mit einer Aufgabe betrauen, die die Gruppe außerhalb der Schule selbstorganisiert lösen soll. Dann setzt sich der Schulbesuch in der Gruppe fort, in der neben fachlichen zugleich auch soziale und affektive Kompetenzen untereinander vermittelt und eingeübt werden sollen. Während schulisch veranlasster Gruppenarbeiten findet für jedes Gruppenmitglied "Schule" und damit ein "Schulbesuch" ausnahmsweise an dem Ort und zu dem Zeitpunkt statt, an dem sich die Gruppe zur Durchführung der Projektarbeit trifft. Denn bei solchen Gruppenarbeiten werden Schüler zur Verwirklichung staatlicher Bildungs- und Erziehungsziele füreinander "in Dienst genommen", was ihren Unfallversicherungsschutz bei gleichzeitiger Haftungsfreistellung der Mitschüler erfordert und rechtfertigt. Dies gilt umso mehr als das Unfallgeschehen durch einen jugendtypischen Gruppenprozess ausgelöst wurde, dessen Ursache letztlich in der Zusammenstellung der Gruppe durch die Lehrkraft lag.
Als Teil des "Filmteams", das die Musiklehrerin im Unterricht aus Schülern zusammengestellt hatte, verrichtete der klagende Schüler als "Schauspieler" am Drehort für die Erstellung des Videoclips versicherte Tätigkeiten im Rahmen eines projektbezogenen Schulbesuchs. Damit war der sich anschließende Heimweg ebenfalls versichert, und der Schüler hat einen von der Wegeunfallversicherung erfassten Schülerunfall erlitten".
Haben Sie oder eines Ihre Kinder oder andere einen derartigen Unfall erlitten, der nicht entschädigt wurde so sollten Sie immer einen Fachmann zu Rate ziehen, selbst wenn das Unfallereignis lange zurückliegt.